Wie die Auster aus Frankreich nach Hamburg kam – ein Marktbesuch

Meeresprodukte

Um 6 Uhr beginnt für Joost und Marco der Markttag. Ihr erster Halt ist der Hamburger Hafen. Im Winter bereiteten sich die Gründer von Austerregion morgens vor, indem sie erstmal fünf Schichten Kleidung in festgelegter Reihenfolge anziehen: „Die ersten zwei Stunden musst Du durchzuhalten, danach geht’s“, erklärt Joost mit einem Grinsen. Im Lager am Fischmarkt trifft auch an diesem nasskalten Januarmorgen die Ware aus Frankreich ein: frische Austern von der französischen Atlantikküste.

Die Reise der Austern: Von der Atlantikküste auf den Isemarkt

Die Austern aus Frankreich werden vor Ort frisch geerntet und über einen Zwischenstopp nach Hamburg geliefert. Die niederländische Region Zeeland ist das Drehkreuz des europäischen Muschel-Marktes, Direktbezüge sind selten und wirtschaftlich unrentabel. In den Niederlanden können die Austern von verschiedenen Anbietern gebündelt bestellt werden. Bereits zwei Tage später erreichen die bestellten Austern für Marco und Joost den Hamburger Fischmarkt per Kühl-Laster. Auf den Spankörben sind der Erntezeitpunkt und das Mindesthaltbarkeitsdatum vermerkt. Austern bleiben bei Kühlschranktemperatur bis zu 12 Tage lang frisch.

Joost und Marco bringen heute Morgen die angelieferten Austern zum Isemarkt, einem der schönsten Märkte Europas. Der Markt erstreckt sich über 800 Meter entlang der Isestraße und ist bekannt als kulinarische Schatzkammer, vergleichbar mit dem Wiener Naschmarkt, der Boqueria in Barcelona und dem Mercado Municipale in Sao Paulo. An Spitzentagen öffnen über 200 Händler*innen ihre Stände, Büdchen und Verkaufswagen unter dem Viadukt der Hochbahn. Der Markt findet immer dienstags und freitags statt.

An einem guten Freitag besuchen etwa 6.000 Menschen den Markt. Als Joost und Marco um halb acht Uhr ihren Stand aufbauen, ist es noch ruhig. Sie entladen Spankisten mit Austern und Seegras und arrangieren sorgfältig die verschiedenen Austern in der Auslage. Außerdem haben sie Säcke mit schwarz-glänzenden Miesmuscheln und ein paar französische Seeigel dabei.

Austerregion: ein Start Up zweier Jugendfreunde

Joost und Marco sind seit ihrer Jugendzeit befreundet. Sie stammen beide aus dem Dörfchen Loxstedt bei Bremerhaven. Zwei Jungs von der Küste, die später auch gemeinsam in Bremen auf die Uni gehen. Marco studiert Wirtschaftsingenieurwesen, Joost macht den Bachelor in BWL und seinen Master in Nachhaltigkeitsmanagement.

Studiengänge, die helfen, ein Unternehmen zu gründen. Beide haben Lust auf eine gemeinsame Selbstständigkeit und die Freunde teilen ihre Begeisterung für Themen wie Fisch und Gastronomie. Auf die Idee, sich mit Austern zu beschäftigen kommen sie allerdings erst über die Begegnung mit Austernfischern auf der Fischmesse in Bremen.

Im Dezember 2017 bauen die jungen Unternehmer zum ersten Mal ein Tischchen in der Bremer Markthalle auf. Innerhalb von nur zwei Stunden verkaufen sie 150 Austern. Joost erinnert sich lachend: „Wir standen dann unten in der Marktküche und haben die Scheine gezählt – unser erstes selbstständig verdientes Geld!“ Es ist die Geburtsstunde von Austerregion.

Seitdem sind sie jedes Wochenende auf Märkten präsent, beliefern renommierte Restaurants in Hamburg und Norddeutschland mit französische Austern und betreiben einen Online-Shop, verschicken deutschlandweit und auf Termin.

Der Lebenslauf einer französischen Auster

Französische Austern stammen überwiegend von der Atlanikküste oder aus dem Mittelmeer und kommen aus kontrollierter Zucht und Aquakultur. Dabei handelt es sich hauptsächlich um die pazifische und die europäische Auster.

Die Austern werden in Handarbeit gezüchtet und veredelt, um ihre einzigartige Geschmacksvielfalt zu entwickeln.

Marco erklärt uns den Prozess: Die Austernsaat wird zunächst auf alten Austerschalen, Muscheln oder Dachziegeln gesetzt, dort haften und wachsen die jungen Austern 9-18 Monate an den sogenannten Kollektoren.

Nach dieser Phase werden die Austern in verschiedene Meeresgebiete gebracht, wo sie in Tief- und Flachwasserzuchten weiter reifen. In Frankreich ist die Zucht auf Stahltischen in Gezeitengebieten besonders verbreitet.

Meeresfrüchte

Austern aus Marennes-Oléron IGP

La touche final! Eine einmalige Geschmacksvielfalt

Französische Austern wachsen und reifen ein bis zwei Jahre lang, bevor sie in den Claires, natürlichen Salz- und Lehmbecken oder Kanalsystemen, veredelt und geschmacklich verfeinert werden. In den Claires entwickeln und entfalten die Austern ihre individuelle Aromatik, auch durch Zugabe von Algen. Dies verleiht den französischen Austern ihre einzigartige Vielfalt.

Die Aufenthaltsdauer in den Claires variiert und kategorisiert die Austern: Die Fines de Claire verbringen 1-3 Monate in den nährstoffreichen Becken, die Spéciales de Claires 2-6 Monate und die Pousses en Claires sogar 8-12 Monate.

In Frankreich werden Austern nach ihrer Größe klassifiziert, wobei die Nummer 4 das kleinste handelsübliche Kaliber ist und die Nummer 1 die größte. Nur die Austernzüchter von Gillardeau bieten Austern bis zum Kaliber 6 an. Um Kopien und Fälschungen zu verhindern, sind die legendären Austern von Gillardeau immer mit einem gelaserten "G" gekennzeichnet.

Wie schmecken eigentlich französische Austern – der Praxistest!

Am Ende unseres Marktbesuches öffnen Marco und Joost am Stand ein paar Austern für uns und ihre Gäste. Insbesondere mittags kann es dann schonmal dränglich werden, wenn die frischen Austern direkt am Stand pur, mit Zitrone oder einer Rotweinvinaigrette gereicht werden!

Französische Austern schmecken nach Meer und Salz, sie sind mineralisch, gurkig-frisch und nussig. Manche Austern erinnern im Geschmack an Haselnüsse oder Pilze, auch Dill und Fenchelnoten finden sich.