Butter oder Öl? Eine Frage des Geschmacks – und der Regionen

Von Nikolai Wojtko

Butter. Natürlich. Sie gehört zur französischen Küche wie das Baguette auf den Tisch. Und selbstredend hat ein berühmter Koch zur Assoziierung von französischer Küche und Butter maßgeblich beigetragen.

Butter

In diesem Artikel

„Butter, gebt mir Butter, immer nur Butter“. Das berühmte Zitat stammt von Fernand Point, in dessen Restaurant La Pyramide in Vienne auch der spätere Jahrhundertkoch Paul Bocuse zur Lehre gehen und seiner „Nouvelle Cuisine“ zur weltweiten Berühmtheit verhelfen sollte. Die marktfrische Küche prägte seit den späten 60er Jahren des vergangenen Jahrhunderts die klassisch-modernen Gerichte Frankreichs.

Und wer einmal eine traditionell zubereitete Beurre Blanc zu Gemüse oder Fisch probiert hat, wird auf diesen zart-duftig buttrigen Geschmack der Sauce für den Rest seines Lebens so wenig verzichten wollen, wie auf leicht gesalzene Rohmilchbutter auf frischem Baguette. Natürlich streitet man sich vortrefflich darüber, wo denn nun die beste Butter des Landes herkommen soll? Ist die Beurre d´Isigny aus der Normandie, oder die Beurre Bordier aus dem bretonischen St. Malo? Die Wahrheit liegt sicherlich am Gaumen des Genießers, denn diese, wie viele andere auf den Wochenmärkten angebotenen Buttersorten sind geschmacklich sensationell. Butter so gut, dass man fast reinbeißen möchte.

So geprägt, übersieht man leicht, dass Butter nicht überall in Frankreich das Küchenmaß aller Dinge ist. Dies ist weniger einem Zufall als einer anderen grundlegenden Konstante entsprungen, die sich allen Bemühungen der nationalen Vereinheitlichung des kulinarischen Kulturguts Frankreichs derart widersetzt, wie einst das durch die Asterix Comics berühmt gewordene kleine gallische Dorf den Okkupationsversuchen der antiken Römer. Von den zahlreichen kulinarischen Anspielungen, die diese Comic-Serie begleiten an dieser Stelle nur ein Beispiel. Selbstredend ist es für den Druiden des Dorfes – wenn man so möchte, handelt es sich bei ihm um einen Koch, um dessen Kessel sich alle Dorfbewohner gerne versammeln - selbstverständlich, Champignons in Butter zu schmoren. Kein Wunder: Das Dorf befindet sich in Aremorica und damit eindeutig in der von Butter geprägten Region von Bretagne und Normandie.

Buttergrenze

Dies liegt in erster Linie an der regionalen und klimatischen Vielseitigkeit Frankreichs. Traditionell wird im Süden Olivenöl angebaut und natürlich auch in der Küche verwendet. Die Provence wäre ohne Olivenhaine und Lavendelfelder kaum zu denken, ähnlich verhält es sich mit den anderen Regionen südlich der Loire. Hier wird mediterran gekocht, also unter Einsatz von Olivenöl statt Butter. Dazu kommt ein Aspekt, der klassische Küche auszeichnet: Sie hat Geschmacksbilder entwickelt, die eindeutig regional zuzuordnen sind. Über Jahrhunderte hat man sich von den Lebensmitteln der Region ernährt und durch das Angebot der Lebensmittel regionale Gerichte geprägt, die im wahrsten Sinne des Wortes, über einen Umweg zu Klassikern der Regionen werden sollten. Dies geschieht anhand unterschiedliche Innovationsschübe. Zum einen wird es durch den Bau der Eisenbahn im Verlauf des 19. Jahrhunderts möglich, alle Lebensmittel des Landes und insbesondere frischen Meeresfisch nach Paris zu befördern. Das Restaurantwesen, welches sich zu dieser Zeit in Paris etabliert, kann sich nicht nur differenziert ausbilden, sondern auch die regionalen Produkte in der Hauptstadt kulinarisch veredeln. Und Paris avanciert in kürzester Zeit zu einem kulinarischen Schmelztiegel und Leuchtturm: Hier wird zum ersten Mal die kulinarische Vielfalt der unterschiedlichen Regionen sicht- und vor allen Dingen erlebbar. Gleichzeitig erfährt die Stadt internationales Interesse, da man hier so gut essen gehen kann. Die Idee der Restaurants im modernen Stil werden zu einem Exportschlager. Nur wenige Jahrzehnte später wird der Reifenhersteller Michelin einen Marketingtrick nutzen: Um für nötigen Reifenverschleiß zu sorgen, sendet er die Besitzer von Automobilen auf Grund seiner Kritiken zu Restaurants quer durch das Land. Erst durch das so entstehende Bewusstsein der kulinarischen Unterschiede der Regionen und ihrer Spezialitäten erwächst das kulinarische Bewusstsein Frankreichs, welches durch Auguste Escoffier und seine Definition der Haute Cuisine zu internationaler Berühmtheit gelangen und neue kulinarische Standards setzen wird.

Mithin: Das kulinarische Bewusstsein der Nation formt sich über die Sammlung der regionalen Besonderheiten und ihrer Rezepte. Dabei aber bleibt ein zentraler Unterschied außer Acht: Der der Verwendung der Grundlegenden Zutaten Butter und Öl. Sie bilden das kulinarische Unbewusste, mithin einen Ort der regionalen Widerständigkeit.

 

Michel Serres und die zwei Gaben der Zunge

Diese Geschichte verbrieft Michel Serres, Zeit seines Ablebens kein Geringerer als eines der unsterblichen Mitglieder der Académie Française. In zahlreichen seiner philosophischen Studien beschäftigte er sich mit Frankreich und seinen kulinarischen Genüssen, denn die Zunge ist für ihn ein besonders Organ.Sie vermag einen Geschmack auf einmal zu erfassen, ihn synthetisch aufzunehmen, um ihn dann mittels Worten zu analysieren. Und sicherlich ist es kein Zufall, dass er über den Geschmack auf die Sprache zu sprechen kommt. Denn zunächst ist es das Unfassbare, was in Worte gefasst werden will.

Es ist die Zeit, als der Philosoph selbst noch ein Junge war und er von seinem Großvater gerufen wurde, der fassungslos vor einem Tisch mit Belgiern stand: „Michel, komm schnell schau dir das an: Die essen Butter!“ Ein Schauspiel, das dem Großvater unerhört schien. Frankreich zerfiel tatsächlich in zwei Teile: Wo die langues d'oïl gesprochen wurde, strich man sich Butter aufs Brot, und im Gebiet der langues d'oc gab man etwas Öl mit – ave – einen Hauch Knoblauch auf die Kruste.

Also stand der Enkel gemeinsam mit dem Großvater vor dem Unsäglichen, es gab Menschen, die sich nicht das gute Olivenöl auf das Brot träufelten, sie bestrichen es mit Butter. Eine kulinarische Grundfeste, die den Esser im Süden mit seinen Olivenbäumen verband wurde von den Besuchern aus dem Norden nicht nur ignoriert, ihr Butterfrevel schien ihnen auch noch zu munden.

Es mag an diesem grundlegenden Entsetzen gelegen haben, dass der spätere Philosophieprofessor sich Gedanken über die Sprache und den Geschmack machte. Immerhin bezeichnet die Grenze zwischen Butter und Öl, auch eine des Dialekts, wie der 1930 in Agen geborene spätestens feststellen musste, als er in Brest seinen Militärdienst antrat. In der Butterregion der Bretagne redet man anders und man isst anders. Vereint ist man aber in der Freude am Genuss und selbstredend möchte man seinen Geschmack kultivieren: „Der Geschmack ist ein Kuss, den der Mund sich selbst vermittels der schmackhaften Speise gibt.“

Und so wird auch die letzte kulinarische Grenze brüchig, denn Geschmack überwindet alle Grenzen: Mittlerweile findet sich ausgezeichnete Butter auch in einer Region, die früher dem Öl vorbehalten war.

Homo Sapiens nennen wir uns, so Serres – weise Menschen, wir sind Weise, da wir so die zweite Bedeutung des lateinischen sapor: Geschmack besitzen. Da ist es gut, dass es in Frankreich auch noch eine andere Tradition gibt: Der zum Essen gereichte Wein, denn der darf auch gerne mal aus einer anderen Region stammen. Er schmeckt als Begleiter zum Essen, zu Butter und Öl.

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Nikolai Wojtko
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