Die kleinen Geheimnisse einer angesagten Spirituose: Calvados

Von Marie-Aline Prevost

In der Normandie wird durch Destillation von Cidre seit Generationen der berühmte Calvados hergestellt, der zu den bekanntesten Branntweinen Frankreichs gehört. Die für diese Region typische Spirituose, die aus Äpfeln hergestellt wird und in Fässern reift, erlebte dank der Mixologie eine umfassende Verjüngungskur … Doch bevor wir einen Blick in die angesagten Cocktailbars der Welt werfen, geht es in Richtung Pays d'Auge, um all die Zutaten zu entdecken, die den „Calva“ zu einem wirklich ganz besonderen Getränk machen ...

Calvados - The farmer

In diesem Artikel

Sie heißen Big Apple, Heart of Normandy oder auch Drakkar Rouge … Hinter diesen vielversprechenden Namen stehen Cocktails, die voll im Trend liegen und in den angesehensten Bars der ganzen Welt gemixt werden. Was alle enthalten: Calvados. Der großartige „Calva“ meines Großvaters hat mit der zunehmenden Beliebtheit traditionsreicher Vintage-Spirituosen eine Verjüngung erfahren. Es geht in Richtung Pays d'Auge mitten in der Normandie, um Herkunft und Hintergrund dieses berühmten Apfelbranntweins zu entdecken.

Heute treffe ich Morgan Rubiard, verantwortlich für Führungen durch das Château du Breuil, Hochburg der Calvados-Produktion. „Das Château du Breuil vertreibt seinen selbst hergestellten Calvados auf der ganzen Welt“, erzählt mir Morgan. „Die Menschen in den nordischen Ländern schätzen die Frische und die leichte Fruchtigkeit eines jungen Calvados – welcher dennoch mindestens zwei Jahre in Fässern reift! Sie trinken ihn pur, wie ihre traditionellen klaren Branntweine: Aquavit und Wodka. Im Gegensatz dazu bevorzugen beispielsweise die Japaner, große Whisky-Liebhaber, unsere klassischeren, länger gereiften Calvados, in denen sich die Aromen von gegarten Äpfeln, Gewürzen und Vanille entfalten und so einen viel komplexeren Geschmack entwickeln.“

Der private Barkeeper Guillaume Six, der regelmäßig mit dem Château du Breuil zusammenarbeitet, stellt fest: „Die Begeisterung für Cocktails nimmt seit den 2010er Jahren bei den jungen Menschen, vor allem bei den 18-21-Jährigen, immer weiter zu. Sie suchen süßere Geschmäcker und Getränke mit weniger Alkohol. Die jungen Erwachsenen haben den Cocktail-Moment für sich entdeckt, ein gemütliches Beisammensein an einem Ort mit Feieratmosphäre, an dem man sich jedoch mit Freunden unterhalten kann.“

 

 Der beliebteste Cocktail auf der Basis von Calvados: der „Mojito normand“, mit jungem Calvados, Holunderblütensirup, frischer Minze, Rohrzucker, Limette und prickelndem Tonic. 

 

 

Da kommt unser „guter alter Clava“ oder vielmehr unser „edler Calvados“ wie gerufen! Dieser junge Calvados hat sehr ausgeprägte und intensive Apfelaromen: „Das ermöglicht, weniger zu verwenden  beispielsweise im „Mojito normand“ 30 ml Calvados, anstelle von 60 ml des viel weniger aromatischen industriellen Rums im klassischen Mojito“, erklärt Guillaume Six. Er ergänzt: „Aus denselben Gründen ist auch der Calvadoslikör, für den Calvados und Apfelsaft verwendet werden, der süßer ist und einen geringeren Alkoholgehalt hat, in der aktuellen Mixologie-Welt sehr beliebt.“ Um auf diese neue Begeisterung für Calvados in Mixgetränken zu reagieren, lassen die Barkeeper ihrer Fantasie freien Lauf und entwickeln  „Tages“-Cocktails, erfrischend und prickelnd, oder in Dessertvariante, also cremiger, genussreicher und sogar mit etwas Sahne abgerundet. Varianten des Calvados –  alt , besonders reif  oder mit Nachreifung in speziellen Fässern – können auch in einfacheren Rezepten verwendet werden, die ihre Erlesenheit zur Geltung bringen: Je mehr Calvados diese Aperitif-Cocktails enthalten, desto langsamer werden sie genossen. 

Doch wofür auch immer man ihn verwendet, es braucht einen Calvados von hoher Qualität … Was sind nun also die Zutaten eines „guten Calva“? Morgan Rubiard lädt mich ein, die wichtigsten Schritte seiner Herstellung zu entdecken. 

Äpfel waschen, raspeln …

Erste Etappe: Die Äpfel kommen mit Kippern von den Plantagen und werden in eine der dafür vorgesehenen riesigen zementierten Vorrichtungen geschüttet. Ein bunter Berg mit grünen, gelben und roten Äpfeln! Es sind mehrere Apfelsorten mit verschiedenen Geschmackseigenschaften vertreten: bittere, bittersüße, süße und saure. Diese Mischung ist entscheidend für die Herstellung eines ausgewogenen Cidre, der nach seiner Destillation die Grundlage eines guten Calvados ist. Die Früchte werden in eine Rinne geschoben, in der sie von einem kontinuierlichen Wasserstrahl gewaschen werden, welcher sie auch in die Verarbeitungshalle leitet. Dort wird geraspelt, gepresst, geleert, gefüllt … Sortierbänder und Leitungen schlängeln sich in alle Richtungen … Zu meiner Linken fallen die kleinen Äpfel in die Zerkleinerungsmaschine. Beim Austritt wird das Fruchtfleisch gleich zu einer großen Presse weiterbefördert, welche im Takt arbeitet, um den Apfelsaft für den Cidre, den sogenannten Most, herauszupressen. Der Apfelgeruch hat jetzt seinen Höhepunkt erreicht.

 

 Das Zermahlen und Vermischen des Mosts ermöglicht die Oxygenierung der Mischung zur Aktivierung der in den Früchten enthaltenen Hefen, denn diese bewirken die natürliche Gärung des Cidre.

 

Und bald Cidre

Zweite Etappe: Der Most wird über ein Leitungssystem zu einem der großen Edelstahltanks befördert, wo er langsam zu Cidre wird: „Ab dem Transport in die Tanks braucht es mindestens drei Wochen“, so Morgan Rubiard.

 

Magic Alambik

Wir gehen aus der Halle und spazieren zum Kellermeister Philippe Etignard in ein herrliches altes Gebäude: eine Spinnerei aus dem 19. Jahrhundert, die zu einem Calvados Reifungslager umgebaut wurde.

Dritte Etappe: Destillation und Reifung. Auf Gartenebene treten wir in einen Raum, in dem sich Fuder und Eichenfässer auf einer Schicht Kies aneinanderreihen.

 

 Die Bedingungen sind jedes Jahr anders und das Spannendste an der Sache ist, dass man sich jedes Mal wieder anpassen muss: Es gibt kein Rezept! 

 

Hier mischen sich komplexe Düfte von Holz und gekochten Äpfeln. „Bei der Gärung der Hefen im Cidre entstehen eine Menge Aromen, unsere Aufgabe ist es, diese bei der Destillation einzufangen“, erklärt Philippe Etignard. Wir betreten den Nebenraum. Dort befindet sich ein gewaltiger Destillierapparat für eine diskontinuierliche Destillation in zwei Schritten – ein „Alambic à repasse“, wie es im Rahmen der geschützten Ursprungsbezeichnung AOP Pays d'Auge verlangt wird. Das Gerät ist beeindruckend, wie für einen echten verrückten Wissenschaftler geschaffen! Ziel ist die Konzentration des Alkohols: Durch Erhitzen des Cidre, mit einem Alkoholgehalt von 5 %, entsteht eine Flüssigkeit mit einem Alkoholgehalt von 70 %, der Branntwein. „Die Bedingungen sind jedes Jahr anders und das Spannendste an der Sache ist, dass man sich jedes Mal wieder anpassen muss: Es gibt kein Rezept!“, erzählt der Mann mit schelmischem Blick hinter seiner Brille.

Gekonnte Alchemie

Die wertvolle Flüssigkeit wird in Eichenfässer gefüllt, um zu reifen und schließlich zu Calvados zu werden. „Die Temperatur hat großen Einfluss auf die Reifung, genau wie die Feuchtigkeit“, erklärt Philippe Etignard. „Je trockener der Reifungsraum ist, desto stärker verdampft das Wasser und der Alkoholgehalt stagniert oder steigt in den Fässern; je feuchter der Keller ist, desto mehr Alkohol verdampft, sodass der Alkoholgehalt abnimmt.“ Bei der Reifung des Calvados geht es also darum, die Flüssigkeiten regelmäßig von einem Fass in ein anderes umzufüllen, um bis zur Abfüllung in Flaschen den gewünschten Alkoholgehalt zu erreichen. Nach und nach prägt sich das Aroma des Calvados immer stärker aus und seine goldene Farbe geht in einen intensiven Bernsteinton über. Die Aromen frischer Äpfel, die in jungem Calvados sehr markant sind, entwickeln sich mit der Zeit hin zu komplexeren Düften von gekochten Äpfeln und Holz, mit Noten von Vanille, Honig oder Walnüssen.

 

 Was mir an der Arbeit gefällt, ist, die besonderen Aromen dieser Spirituosen herauszufiltern. 

 

Hier kommt die Kreativität des Menschen ins Spiel, etwa wenn der Calvados eine Zeit lang in Eichenfässern reift, in denen vorher andere Getränke (Whisky, Sauternes …) waren, aber auch beim Kombinieren verschiedener Fässer (Assemblage), um diese Aromen miteinander zu verbinden. Natürlich erfordern diese Vorgänge eine kontinuierliche Beurteilung des Bestands durch Verkostung: „Die Eigenschaften der Calvados-Varianten müssen regelmäßig eingeschätzt werden, um sie im besten Moment zusammenzuführen oder in einen anderen Behälter zu füllen“, verrät Philippe Etignard.

Für jeden etwas

Es ist deutlich geworden: Calvados gibt es für jeden Geschmack, ob man Frische oder Fülle bevorzugt, Aromen junger oder gegarter Äpfel! „Ich mag vor allem die Cocktails und mein liebster ist ein Klassiker: der Jack Rose, mit Calvados, Zitronensaft und Grenadine“, erzählt mir der Kellermeister, bevor er in „sein Labor“ zurückkehrt.

Zurück im Verkostungsraum bietet Morgan Rubiard mir einen Calvados-Tonic an. Einen Cocktail aus Tonic und jungem Calvados mit ein paar Eiswürfeln, jeder Schluck ein Geschmackserlebnis. Schon jetzt steht fest: Wenn ich zurückkomme, werde ich den „Calva“ meines Großvaters aus dem Schrank holen und mich ans Cocktailmixen machen!

 

 

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