Grüne Soße vs. sauce verte - Wer hat’s erfunden? Eine Spurensuche.

Von Stevan Paul

Sauce Verte Francfort

In diesem Artikel

Diese Geschichte beginnt in Frankfurt am Main und mit einem der umstrittensten Heiligtümer der deutschen Küche. Die Zubereitung und vor allem die Herkunft sind nicht nur diskutabel, es gibt die gegensätzlichsten Glaubensrichtungen und Überzeugungen. Das beginnt schon mit der Frage nach dem Ursprung der Grie Soss. Traditionalistisch eingestellte Hardliner beharren auf der alten Geschichte, Goethes Mutter Catharina Elisabeth (1731–1808) habe das Rezept erfunden, der gemäßigt-konservative Flügel der Saucenliebhaber verweist auf das Frankfurter Kochbuch der Wilhelmine Rührig von 1860, dort sei zumindest nachweislich das erste gedruckte Rezept zu finden.

Dass allerdings die Hugenotten die Abwandlung der französischen sauce verte an den Main gebracht haben sollen, wird in Frankfurt allgemein empört bestritten. Sehen wir uns die Sache doch mal genauer an.

 

Die Frankfurter Grüne Soße – das Original?

Sieben Kräuter sollen, sieben Kräuter müssen es sein für eine echte Frankfurter Grüne Soße. Nur welche? Aus Frankfurts grünen Gärten zwischen Oberrad, Deutschherrnufer und Sachsenhausen kommt die traditionelle Kräutermischung in weißes Papier gerollt auf die Wochenmärkte. Borretsch, Kerbel, Kresse, Petersilie, Pimpinelle, Sauerampfer und Schnittlauch sind die allgemein anerkannten Kräuter, gerade die Pimpinelle (auch: Steinpetersilie, Bibernelle) ist unverzichtbar für den typischen Geschmack der Sauce. Borretsch ist, besonders im Norden, nicht immer umstandslos erhältlich, das Gurkenkraut kann ausnahmsweise durch Estragon oder Dill ersetzt werden; Zitronenmelisse und Liebstöckel sind in Expertenkreisen hochumstritten. Im Süden von Frankfurt-Oberrad (Linie 16 bis Haltestelle Bleiweißstraße) ist seit 2007 das Denkmal für die Grüne Soße zu finden: Sieben Mini-Gewächshäuser in changierenden Grüntönen errichtete die Ludwigsburger Künstlerin Olga Schulz. In die Böden eingelassen die jeweiligen Namen der sieben Ur-Kräuter – in Stein gemeißelt quasi.

Die Basis einer Grünen Soße bildet eine Mayonnaise, für die wahlweise rohes oder gekochtes Eigelb mit Öl aufgezogen wird. Auch das ist eine Glaubensfrage, ebenso die weitere Zugabe von Joghurt, Schmand, Sauerrahm oder gar Crème fraîche. Die Kräuter für die Sauce werden traditionell mit dem Wiegemesser sehr fein gehackt, die Verwendung von Pürierstab oder Blitzhacker ist verpönt. Nur weil meine Mutter Hessin ist, und ich somit ein halber Hesse, erlaube ich mir an dieser Stelle wagemutig den Einwand, dass die Zuhilfenahme von elektronischen Hackhilfen durchaus zu bedenken ist. Das Hacken der Kräuter von Hand ist nicht nur mühsam, es kostet auch unendlich viel Zeit. Zeit, in der sich sämtliche ätherischen Öle verflüchtigen. Der Geschmack einer so zubereiteten Sauce erinnert oft eher an frisch gemähten Rasen als an die verwendeten Kräuter. Zu grob gehackte Kräuter lassen zudem das namengebende Grün in der Sauce missen. Faule Köche färben mit Spinat nach – ein unverzeihliches Sakrileg. Es kann jetzt noch diskutiert werden, ob denn gehackte, hart gekochte Eier hinein sollen/müssen/dürfen und Zwiebeln und/oder Schalotten.

 

Sauce verte – Frankreichs Grüne Sauce: war sie zuerst da?

Werfen wir doch an dieser Stelle direkt mal einen Blick auf die französische sauce verte, die tatsächlich ein Vermächtnis der Hugenotten ist. Die verfolgten französischen Protestanten flohen im 17. Jahrhundert aus dem vorrevolutionären Frankreich, fleißige Männer und Frauen, die sich u. a. im hessischen Hanau niederließen. Unter der Regentschaft von Graf Philipp II. von Hanau-Münzenberg gelang 1597 gemeinsam die Gründung und Errichtung der Hanauer Neustadt, hier war den Geflüchteten die uneingeschränkte Religionsfreiheit garantiert. Aus ihrem Heimatstädtchen Poët-Laval in Südfrankreich, nahe Montélimar, brachten die Calvinisten die Bräuche und Traditionen ihrer alten Heimat mit und bereicherten damit die neue. Auch mit Rezepten. Und mit ziemlicher Sicherheit waren es die Hugenotten, die mit ihrer sauce verte die Frankfurter Grüne Soße inspirierten.

Die klassische sauce verte, wie wir sie heute kennen und lieben, weist tatsächlich einige Gemeinsamkeit mit der seit 2016 durch das EU-Gütezeichen „geschützte geografische Angabe (g. g. A.)“ verorteten Frankfurter Grünen Soße auf: Basis der sauce verte ist auch Mayonnaise, bei den Kräutern herrschen überwiegend Petersilie, Estragon und Bachkresse vor, auch ein Hauch Knoblauch ist erlaubt. Die sauce verte gibt es schon seit der Renaissance, in ihrer Urform war sie eine mit Brot gebundene Kräutersauce – und damit der italienischen salsa verde nicht unähnlich! Und die ist sogar noch ein bisschen älter.

 

Die Spur führt in den Nahen Osten

Römische Legionäre brachten die Idee einer kalten Kräutersauce aus dem Nahen Osten nach Italien. Das Rezept, das dann über Frankreich auch Deutschland erreichte, dürfte in seinem Ursprung also um die 2.000 Jahre alt sein. Insgesamt entwickelte sich die Geschichte der grünen Sauce zu einem frühen gesamteuropäischen Projekt, das im östlichen Mittelmeerraum seinen Anfang nahm. Und es kommt noch besser: Die Liebe zur grünen Sauce eint Menschen weltweit! In Mexiko finden wir traditionsreiche und uralte Rezepte für grüne Salsas, wie etwa die salsa verde auf Basis grüner Tomaten, die scharfe salsa verde habanero und die mole verde, die auch grüne Gemüse wie Kohl und Mangold enthalten kann. Darüber hinaus schwört man in Lateinamerika auf die pikante Chimichurri-Sauce zu gerilltem Fleisch.

 

 

Deutsch-französische Vielfalt: Das schmeckt zu grünen Saucen

Die französische salsa verde ist ein echter Alleskönner, sie schmeckt zu Fisch und Fleisch, verfeinert Gemüsegerichte und Eierspeisen. Gerne wird sie auch zu Burgunderschinken serviert und im Sommer zum jambon persillé. Sie passt herrlich auch zu frisch gekochten Artischocken und grünem Spargel. Hingegen ist die Frankfurter Grüne Soße die Hauptattraktion auf dem Teller, das ist, ausnahmsweise, unumstritten. An Sonn- und Feiertagen erfährt sie eine kulinarische Erweiterung durch gekochtes Fleisch, gedünsteten oder gebackenen Fisch (das wiederum ist umstritten) oder kalten Braten. Nötig hat die Grüne Soße das natürlich nicht! Mit Kartoffeln und gekochten Eiern serviert ist sie, von Gründonnerstag bis in den Herbst hinein, Grundnahrungs- und Genussmittel.

Das beste zum Schluss: Niemand muss sich entscheiden! Lassen wir den Traditionalisten und Hardlinern ihre bewahrende Weltsicht und werden selbst kreativ: Alle grünen Saucen dieser Erde lassen sich nach Marktlage und Saison variieren, vermählen und erweitern. Es gibt keine Regeln, das ist die schönste Regel, das bedeutet kochen, das ist Freiheit!

 

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